Interview

Nicole Büsing und Heiko Klaas im Gespräch mit dem Maler Peter Churcher

Peter, deiner Biografie entnehmen wir, dass du, bevor du die Malerei für dich entdeckt hast, Musiker warst. Was hat dich damals veranlasst, vom Bereich der darstellenden Kunst zur bildenden Kunst zu wechseln?

     Peter Churcher: Tatsächlich war es umgekehrt. Ich war eigentlich immer Maler. Im Alter von 15 Jahren entdeckte ich dann die Musik und widmete ihr zunächst all meine Energie. Ich habe Musik mit den Schwerpunkten Klavier und Musikwissenschaft bis hin zum Abschluss am Konservatorium studiert. Zu diesem Zeitpunkt - ich war damals 22 Jahre alt - unternahm ich meine erste Reise als unabhängiger junger Mensch nach Europa. Ich begann, mich dort gleich wieder ernsthaft mit der Malerei zu beschäftigen und besuchte alle wichtigen Kunstmuseen. Ich hatte mein Schlüsselerlebnis als ich vor Manets kleinem Gemälde "La Lecture" im Musee D'Orsay stand. Da erinnerte ich mich wieder an das großartige Gefühl, selbst ein Gemälde zu malen. Als ich das Museum an diesem Nachmittag verließ, stand mein Entschluss fest, mich wieder ganz der Malerei zu widmen. Ein paar Monate später war ich wieder zu Hause und schrieb mich sofort an einer Kunstakademie mit dem Schwerpunkt Malerei ein.

Du hast in Melbourne Kunst studiert. Könntest du uns ein wenig über die Akademie und andere frühe Einflüsse erzählen, die für deine künstlerische Ausbildung wichtig waren?

     PC: Als ich Ende der 1980er Jahre an der Kunstakademie in Melbourne mit dem Studium begann, bestand die "Malereifakultät" nur noch der Form halber. Alle traditionellen Formen der Malausbildung galten als überflüssig und speziell über realistische Malerei rümpfte man allgemein die Nase. Ich erinnere mich an den starken Gegensatz zwischen meiner Ausbildung an der Kunsthochschule und meinem früheren Musikstudium. Am Musikkonservatorium begann man ganz am Anfang: Im ersten Jahr bestand der Unterricht dort nur aus technischen Studien und Etüden. Dort galt die Auffassung, dass man, wenn man Beethoven spielen wollte, sich dieses Recht erst verdienen und den Umgang mit dem Instrument gut im Griff haben musste.

An der Kunsthochschule hingegen herrschten ganz andere Verhältnisse. Wir hatten unseren Freiraum, waren aber mehr oder weniger auf uns alleine gestellt. Wir durften uns von Anfang an "Künstler" nennen, ohne überhaupt zu wissen, was das bedeutete. Man erwartete von uns "Kunst zu machen", die dann von vorbeilaufenden Professoren begutachtet und kritisiert wurde. Ich erinnere mich genau daran, dass ich sehr damit gekämpft habe, etwas auf der Leinwand zu erschaffen, was auch nur annähernd zufriedenstellend war. Was den Umgang mit Materialien, Techniken etc. betrifft, wurden wir völlig allein gelassen. Aus diesem Grund habe ich mich auch immer als "autodidaktischer" Künstler bezeichnet. Ich erhielt nie eine formale Ausbildung in Malerei und musste mir im Laufe der Zeit alles selbst beibringen. Ich erinnere mich, dass wir uns mit einigen Kommilitonen zusammengetan haben, die ähnliche Interessen und Bedürfnisse hatten und gemeinsam stöberten wir in Kunstbänden und Reproduktionen Alter Meister. Wir waren wie besessen davon, herauszufinden, wie diese Bilder zustande gekommen waren. Wir kamen uns vor, als müssten wir eine klassische Marmorskulptur, die in kleine Stücke zertrümmert worden war, rekonstruieren. Wir mussten also versuchen, alle kleinen Stücke zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen.

Wir haben gelesen, dass deine Mutter eine ziemlich wichtige Rolle in der australischen Kunstwelt gespielt hat. Vielleicht könntest du das auch näher ausführen. Welche Rolle spielte dein Vater?

     PC: Der künstlerische Background meiner Eltern war in dieser Hinsicht natürlich von Vorteil. Beide waren ausgebildete Maler, mein Vater war Schüler der Slade School of Painting in London, und meine Mutter hatte am Londoner Royal College of Art studiert. Beide hatten ihre traditionelle akademische Ausbildung an diesen Schulen beendet und sind dann in die Praxis gegangen. Mein Vater blieb sein ganzes Leben lang Maler, aber meine Mutter wandte sich schon bald der Kunstgeschichte zu. Sie schrieb und unterrichtete bereits, als ich ein kleines Kind war. Pinsel und Leinwand legte sie beiseite. Meine Mutter war die erste weibliche Direktorin der Australischen Nationalgalerie (National Gallery of Australia) zudem war sie Autorin vieler Kunstpublikationen und eine bekannte Moderatorin von Kunstsendungen im australischen Fernsehen. Beide waren maßgeblich daran beteiligt, mein Verständnis von Malerei von frühester Kindheit an zu befördern. Mir wurde beigebracht, eine Zeichnung von Pisanello zu betrachten und sie mit einer Zeichnung von Gericault zu vergleichen, wobei ich nicht nur lernte, die Aussagen sondern auch ihre Methode und Ausführung zu verstehen. Als ich älter war, hatte ich eine besonders enge Beziehung zu meiner Mutter. Sie erteilte mir sozusagen Privatunterricht. Ohne ihre Hilfe wäre ich nicht der Maler geworden, der ich heute bin.

In dieser Hinsicht habe ich also großes Glück gehabt, da ich vom Wissen und der Weisheit meiner Eltern profitieren durfte. Sie waren es, die mir Auswege aus dem Irrgarten aufzeigten, als sich der zeitgenössische Ansatz der Kunstausbildung an Kunsthochschulen der 1980er Jahren erwies.

Deine Bilder sind figürlich und realistisch. In welcher Tradition siehst du deinen künstlerischen Ansatz?

     PC: Nun, wie ich bereits erwähnt habe, war es immer meine Absicht, die Praxis der realistischen Malerei so lebendig wie möglich zu gestalten. Gleichzeitig möchte ich mich auf meine eigene zeitgenössische Welt beziehen, so wie es andere Künstler zu ihrer Zeit auch getan haben. Ich habe mich bewusst gegen den rein konzeptionellen Aspekt des  Kunstschaffens entschieden. Stattdessen möchte ich im Rahmen des konventionellen Malaktes eine Sprache finden, die es mir erlaubt, meine Wahrnehmung der physischen Welt, in der ich lebe, zum Ausdruck zu bringen.

Welche historischen Künstler haben dich besonders inspiriert?

     PC: Ich bin wirklich sehr angetan von den Meistern der Barockmalerei, des frühen bis späteren 17. Jahrhunderts wie Velázquez, Rembrandt oder Caravaggio. Hier erreicht die Malerei ihre höchste handwerkliche Qualität. Keine akribische Wiedergabe der Realität, sondern eine lockere und ausdrucksstarke Methode, die die Realität mit metaphysischer und dramatischer Kraft auflädt.

Eines deiner bevorzugten Motive (zumindest der jüngsten Gemälde) ist der (überwiegend männliche) Akt. Was befeuert dein Interesse am unbekleideten Körper?

     PC: Ich habe mich tatsächlich immer ein wenig vor dem weiblichen Akt gedrückt. Das hat nichts mit einer bestimmten sexuellen Neigung oder Präferenz meinerseits zu tun. Vielmehr mit der Tatsache, dass ich ihn für ein tendenziell klischeehaftes und extrem aufgeladenes Sujet der Malerei halte. Die Tendenz in Arbeiten aus der Vergangenheit, den weiblichen Akt als Objekt der Begierde zu präsentieren, als etwas, das vom männlichen Betrachter angeschaut werden muss, gefällt mir nicht. Die männliche Figur hingegen ist für mich viel weniger mit Konnotationen und Klischees beladen. Ich bestreite jedoch nicht, dass auch die männliche nackte Figur über eine stark sexuell aufgeladene und erregende Ausstrahlung verfügt. Tatsächlich arbeite ich diesen Aspekt sogar heraus. Jedoch nicht so gekünstelt und „knifflig“, wie es bei der Darstellung von Frauen häufig praktiziert wird.

Wenn du eine nackte Person unter der Dusche malst, wie gehst du da vor? Duschen sie wirklich während der gesamten Malaktion? Oder lässt du sie kurz duschen und fotografierst oder skizzierst, bevor du anfängst zu malen?

     PC: Eine gute Frage und eine, die ich tatsächlich durch Ausprobieren herausarbeiten musste. Natürlich kann man nicht erwarten, dass ein Modell während der ganzen Zeit, die es braucht, um eine großformatige Leinwand auszuführen, unter fließendem Wasser steht. Auch kann eine großformatige Leinwand gar nicht in den Räumen eines Badezimmers aufgestellt und bearbeitet werden, zumindest nicht in meinem Badezimmer. Das Problem war jedoch, dass ich mich nicht einfach nur auf das Fotografieren verlassen konnte. Wie ich bereits sagte, ein Schlüsselfaktor meiner Arbeit ist, dass sie eben NICHT nach fotorealistischer Detailverliebtheit strebt. Vielmehr soll sie eine malerische Qualität entfalten, die den ganzen Realismus der "Erscheinung" des fließenden Wassers einfängt – ohne sich jedoch im letztendlich lähmenden Effekt der sklavischen Wiedergabe einer fotografischen Vorlage zu verlieren.

Die Lösung bestand also darin, kleinere Studien vom Modell unter der Dusche anzufertigen. Das kleinere Format der Studien ermöglichte es mir, bequem und auch schnell auf engstem Raum in meinem Badezimmer zu arbeiten. Das, was unter der Dusche geschah, konnte ich so beobachten und gleichzeitig Wege finden, es auf sehr direkte Weise ganz unmittelbar auf die Leinwand zu übertragen. Die Studien, die im Badezimmer durchgeführt wurden, waren sehr wichtig, um genau herauszufinden, wie man ein so herausforderndes Thema malt. Aber auch, um zu sehen, wie eine reale Person auf das herabfallende Wasser reagiert, wie sie sich bewegt und mit welchen Gesten sie sich ausdrückt, wenn sie unter der Dusche steht. Alle Arbeiten der Duschserie begannen mit einer solchen Studie. Nicht alle Studien wurden jedoch zu größeren, abgeschlossenen Arbeiten. Einige blieben nur Sprungbretter auf dem Weg, die Herausforderungen dieses Gemäldethemas zu meistern.

Der stetige Wasserfluss auf der nackten Haut kann dazu führen, dass sich eine Person sehr entspannt und wohl oder sogar sehr unangenehm fühlt, je nach Umständen wie Temperatur und Dauer. Aus deiner Erfahrung: Worin besteht der Unterschied zwischen einer "trockenen" und einer "nassen" Malaktion?

     PC: Wenn ich diese Frage richtig verstehe, geht es darum, wie sich die Arbeit mit einem Modell unter fallendem Wasser von einer normalen Sitzung unterscheidet?

Ja, genau.

     PC: Okay, es gibt natürlich viele Faktoren, die die Arbeit mit einem Modell unter der Dusche viel schwieriger und herausfordernder machen als eine Standardpose mit dem Modell im Studio. Jeder, der schon einmal für einen Künstler Modell gesessen hat, weiß, dass es ziemlich schwierig ist, auch nur eine Pose zu halten, selbst die einfachste. Allein schon eine bestimmte Beinstellung oder Drehung des Nackens kann zu einer großen Herausforderung werden. Doch das alles wird für das Modell noch viel komplizierter, wenn es die zusätzliche Herausforderung durch das fallende Wasser gibt. Die einfachste und direkteste Antwort darauf ist, dass ich sehr schnell arbeiten muss. Ich habe sehr erfahrene und gewissenhafte Modelle, die die Herausforderung annehmen und die Posen extrem gut unter Wasser halten können. Trotzdem muss ich sehr schnell arbeiten, um die Informationen zu bekommen, denn es stehen viele Faktoren im Weg... der mit Wasserdampf angefüllte Raum, das Modell mit ersten Anzeichen von Stress unter Wasser. Ich vergleiche das gerne mit dem Malen von Wolken, die über einen Himmel rasen, wenn man als Freiluftmaler 'en plein air' arbeitet... Letztlich musst du deinem Instinkt vertrauen, den Himmel auf die Leinwand holen und mit hundertprozentiger Aufmerksamkeit aus dem Moment heraus malen.

In der Duschserie nutzt du manchmal auch das (halb-)transparente Material der Duschkabine, um den Blick zu verändern. Was ist deine Motivation hinter diesem malerischen Kunstgriff? Wie würdest du den Mehrwert dieser Methode beschreiben?

     PC: Den Aspekt der Duschabtrennung habe ich erst später, nachdem die erste Serie der Figuren unter fallendem Wasser fertig gestellt war, mit einbezogen. Es geschah ganz zufällig während einer bestimmten Sitzung, in der ich eine Studie mit einem Modell durchgeführt habe. Ich änderte meinen Blickwinkel und blickte durch die Scheibe und nicht direkt auf die Figur. Mir wurde sofort klar, dass die Scheibe eine weitere Abstraktionsebene der Figur bot, einen Blur-Effekt, der sich manchmal einheitlich über das Motiv legte, manchmal aber auch nur Teile der Figur verschwommen und wiederum andere klar erscheinen ließ. Was mich aber zusätzlich an dieser Scheibe faszinierte, war der Aspekt der Vergänglichkeit, wie sich das Bild dahinter, auch über einen recht kurzen Betrachtungszeitraum hinweg, immer wieder verändert hat. Genau wie bei den bereits erwähnten Wolken, die über den Himmel rasen, bleibt nichts gleich, wenn man lange genug durch die Scheibe schaut. Man ist quasi gezwungen, den Wunsch aufzugeben, das Erscheinungsbild der Figur anzuhalten und einzufrieren. Man muss seinen Kontrollzwang also aufgeben und "mit dem Fluss gehen", die sich ändernden Launen des Glases und der Wassertropfen akzeptieren und sich die Freiheit gönnen, mit den malerischen Effekten, die notwendig sind, um das Gefühl dessen einzufangen, was man sieht, spielerisch umzugehen.

Es scheint eine beträchtliche Intimität oder zumindest Vertrautheit zwischen dir und deinen Modellen zu bestehen. Wie findet man diese? Sind es meist Freunde, Bekannte oder sogar Familienmitglieder?

     PC: Alle meine Modelle sind im Grunde Profis, keine Freunde oder Familienangehörige. Sie werden stundenweise bezahlt. Allerdings entwickle ich sehr spezielle Arbeitsbeziehungen zu bestimmten Modellen, mit denen ich immer wieder zusammenarbeite. Im Laufe der Zeit hat sich ein sehr großes Verständnis füreinander und ein gewisses Maß an Kameradschaft entwickelt. Uns allen ist klar, dass das, was wir zusammen tun, sozusagen eine gemeinschaftliche Anstrengung darstellt. Diese Art der guten Zusammenarbeit liegt mir sehr am Herzen, besonders wenn ich unter schwierigen Bedingungen wie bei der Duschserie arbeite.

Du hast Australien verlassen und bist nach Barcelona, Spanien gezogen. Was hat dich dazu gebracht, dorthin zu ziehen, und inwieweit hat diese Verlagerung deinen künstlerischen Ansatz verändert?

     PC: Ich kam vor 15 Jahren für eine dreimonatige Atelierresidenz nach Barcelona und kehrte dann zwei Jahre später im Jahr 2006 mit meiner Familie zurück. 13 Jahre später sind wir immer noch hier. Wie ich bereits erwähnt habe, basiert meine Arbeit sehr stark auf der europäischen Tradition. Vor allem aber liegt hier ein bestimmtes Gefühl in der Luft. Der Menschenschlag und die Lebensweise hier in Europa sind meiner Praxis als Künstler viel zuträglicher als alles, was ich je in Australien gefunden habe. Ich bin kein Landschaftsmaler. Wäre ich es je gewesen, hätte ich wahrscheinlich ausreichend Anschauungsmaterial in meinem Heimatland Australien gefunden und wäre womöglich nie gegangen. Was ich zum Malen brauche, ist das bunte Treiben der Menschen auf der Straße, die reiche kulturelle Vielfalt, das Gespür für die Vergangenheit, für die Geschichte, die aber gleichzeitig auch immer wieder auf das moderne Leben prallt... Was all das angeht, bietet mir Europa viel mehr Stoff als Australien. Als Künstler in Australien arbeitete ich viel isolierter von meiner Umgebung. Mein Studio dort glich einer in sich geschlossenen Blase. In Barcelona hingegen drängt es mich immer wieder nach Draußen zu all den Dingen, die mich auf Schritt und Tritt herausfordern und inspirieren.

Peter, vielen Dank für das Gespräch.