Artist Talk: Patrick Angus

Hans-Joachim Müller im Gespräch mit der Direktorin des Kunstmuseum Stuttgart Dr. Ulrike Groos und der Kuratorin Dr. Anne Vieth

Ab 2. Dezember zeigt das Kunstmuseum Stuttgart die erste große Einzelausstellung zum Werk des US-amerikanischen Malers Patrick Angus. Die Bilder mit ihren intimen Einblicken in die New Yorker Gay-Szene sind kaum bekannt. Erst seitdem die Stuttgarter Galerie Thomas Fuchs den Nachlass des 1992 an Aids verstorbenen Künstlers vertritt, wächst die internationale Aufmerksamkeit. Mitten in den Vorbereitungen der Ausstellung haben wir uns mit der Direktorin des Kunstmuseum Stuttgart Ulrike Groos und der Kuratorin Anne Vieth unterhalten.

Das Werk von Patrick Angus ist in Europa noch immer wenig bekannt. Auch 25 Jahre nach dem Tod des Malers. Was ist der Grund für die Zurückhaltung des Kunstbetriebs, der sich doch sonst keine Entdeckung entgehen lässt?

    Ulrike Groos: Das hat auch damit zu tun, dass das Werk bereits zu Lebzeiten von Patrick Angus kaum bekannt war. Es gab Wenige, die sich dafür interessierten, und außer einigen Bildern und Zeichnungen ist nichts publiziert worden. In den letzten Jahren wurde zwar gelegentlich an den Künstler erinnert - mal einige Seiten in einem renommierten Kunst-Magazin, mal ein positiver Artikel in einem der großen Feuilletons -, aber dann verpuffte das auch gleich wieder. Es gab eine Scheu, sich diesem Werk zu widmen. Das ist nun ganz anders geworden, seit der Nachlass von der Galerie Fuchs in Stuttgart vertreten wird. Als dort mit viel Enthusiasmus die ersten Ausstellungen von Patrick Angus gezeigt wurden, war auch ich sehr positiv überrascht. Was die Galerie in den letzten Jahren über den Nachlassverwalter sowie die Familie aus Amerika nach Deutschland gebracht und inzwischen veröffentlicht hat, hat die Werkkenntnis ein gutes Stück verbessert. Dabei bleiben noch etliche ungeklärte Fragen, und auch wir stecken mitten in der Aufarbeitung des Werks. Wir sind sehr gespannt, welche Reaktionen unsere Ausstellung auslösen wird.

Wenn man das Ausstellungsverzeichnis durchgeht, fällt auf, dass der Maler auch in Amerika keine wirklich repräsentativen Ausstellungen hatte.

    UG: Das ist meines Erachtens ein typisch amerikanisches Phänomen. Viele bedeutende amerikanische Künstler hatten ihre ersten großen Ausstellungen in Europa. Denken Sie an Carl Andre oder an Dan Graham. Auch das Thema der afroamerikanischen Künstlerinnen und Künstler ist von Europa aus angestoßen worden, nicht zuletzt durch unsere Ausstellung „I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920“, in der etliche Werke von Afroamerikanern gezeigt wurden. Es braucht offenbar immer mal wieder diese Impulse aus Europa, damit sich Amerika auf seine eigene Geschichte besinnt.

    Anne Vieth: Der damalige Kontext ist außerdem entscheidend. Zu Angus’ Lebzeiten erschien ein Künstler wie Felix Gonzalez-Torres mit seinem neuen Kunstbegriff „progressiver“ als ein Maler, der das Thema Homosexualität eher intim beschreibend anging und sich auch nicht wie Gonzalez-Torres oder General Idea mit der Aids-Katastrophe auseinandersetzte.

Patrick Angus hat der New Yorker gay scene angehört zu einer Zeit, als es nicht leicht war, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Wie spiegelt sich der Lebenskonflikt in seiner Malerei?

    UG: Er zeigt die privaten Orte, die Striplokale, Kinos, Saunas, Badehäuser, die intimen Ecken und Nischen des Milieus. Was in diesen Bildern mit großer Ehrlichkeit aufscheint, ist die Welt der Schwulen, die um Toleranz, um Anerkennung und Selbstbestimmung kämpfen. Und vor allem geht es im Werk von Patrick Angus um die Sehnsüchte und Ängste, die die Szene bestimmten.

Vom Elend der Marginalisierung, vom Zwang, im Underground und an den gesellschaftlichen Rändern leben zu müssen, und vor allem von Aids verraten diese Bilder wenig.

    AV: Es gibt eine spannende Ambivalenz im Werk, die ich auch für mich noch nicht final auflösen kann. Angus hat die Schwulenszene sehr direkt, sehr nah dokumentiert, und es mangelt einigen seiner Darstellungen nicht an Drastik. Die dramatischste Entwicklung im Kontext der damaligen „gay scene“ hat er jedoch nicht festgehalten. Aids war ein wirklich traumatischer Einschnitt für die Szene. Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass sehr viele Männer daran erkrankten und die Krankheit sichtbare Spuren hinterließ, auch in den Clubs und Bars, die der Künstler besuchte. Diese Realität blendet Angus total aus. Auf der einen Seite scheut er nicht die direkte Darstellung, auf der anderen Seite negiert er etwas Entscheidendes. Vielleicht war der Grund dafür seine HIV-Erkrankung. Was wir bei Zeitzeugen erfragen und klären konnten: Patrick Angus war kein homosexueller Aktivist und an der emanzipatorischen Bewegung damals nicht aktiv beteiligt.

    UG: Ihm kam es offensichtlich mehr darauf an, mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen die intimen Situationen festzuhalten. Er zeigt manchmal sehr berührende Momente - gerade auch in den Zeichnungen, wenn ein „Lonely Boy“ (so lautet der Titel eines Werkes) alleine an der Bar sitzt und um ihn herum sich überall Paare bilden. Das ist ein wiederkehrendes Thema im Werk des Künstlers, dieses Verlorensein der Einsamen und ihr Scheitern, Liebe zu finden. Warum Angus die Aids-Katastrophe nicht aufgreift, bleibt offen. Es gibt ein Selbstporträt, bei dem man denken könnte, er wolle die Krankheit zeigen und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen, ansonsten taucht das Thema Aids nicht auf.

Was immer wieder auffällt im Werk, ist diese bürgerliche Behäbigkeit. Die Eltern im Dining room, Tom und Rob Stuart beim Klavierspielen und Buchlesen. Über allem Werk liegt etwas wie ein melancholischer Friede.

    UG: Er selbst ist zwar relativ früh mit 21 Jahren von zu Hause ausgezogen und nach Santa Barbara, Los Angeles und später nach New York gegangen, kannte aber das bürgerliche Leben durch seine Eltern, die er häufig besuchte und bei denen er auch für kurze Zeit wieder einzog, als das MoMa, wo er arbeitete, für einige Monate geschlossen wurde. Seine Interieur-Studien, Genreszenen und Landschaftsbilder strahlen eine große Idylle aus. Ich glaube, man liegt nicht falsch, wenn man gerade darin die Sehnsucht nach bürgerlichen Formen des homosexuellen Zusammenlebens entdeckt. Patrick Angus hatte wohl lange keinen festen Partner. Und als ihm jemand seine Liebe gestand, war er schon krank und sagte nur: „Ich habe es. Zu spät.“

    AV: Anders als Otto Dix etwa, den die nietzscheanisch verklärte Lust und die dionysische Kraft antrieben, hat Angus die Begierde als genuin menschliches Moment dargestellt. Er war homosexuell, aber Mann oder Frau, das ist nicht das entscheidende Thema. Vielmehr geht es ihm um Sehnsucht, Liebe, Eifersucht, Traurigkeit, um zwischenmenschliche Beziehungen. Es ist kein Werk, das die Triebhaftigkeit des Sexuellen akzentuiert.

Wenn man die Bilderstrecke überblickt, gibt es so etwas wie Entwicklung in diesem Werk?

    UG: Wir sind noch dabei, das Werk zu ordnen. Dabei zeigt sich, dass es eine ganz klare motivische und stilistische Entwicklung seiner speziellen Bildsprache, die von kräftigen Farben und einem rauen Realismus geprägt ist, gibt. Ganz deutlich ist zum Beispiel das Aufgreifen der typisch neoexpressiven Elemente in der achtziger Jahre-Malerei mit ihrer kantigen Formensprache bei Patrick Angus nachweisbar. Insbesondere das Publikum in den Clubs bekommt zuweilen fratzenhafte Züge, Angus schreckt dabei vor der Darstellung des Hässlichen nicht zurück. Und auch im zeichnerischen Werk lassen sich die Veränderungen gut nachvollziehen. Es zeigt sich eine Entwicklung von den frühen Arbeiten, bei denen Patrick Angus noch unmittelbar nach dem Modell gearbeitet hat, bis zu den Zeichnungen, die von einem eckigen, statuarischen Stil geprägt sind, der sich am Ende expressiv auflöst und mehr und mehr Farbe zulässt.

Welche Rolle hat in dem Zusammenhang die Begegnung mit David Hockney gespielt?

    UG: David Hockney war sein großes Vorbild. Angus kannte dessen Werk und war besonders beeindruckt von dem 1971 erschienenen Buch "72 Drawings by David Hockney", das wir auch in unserer Ausstellung zeigen werden. Die nackten jungen Männer, die Interieur-Szenen - es gibt da etliche Motive, die auch bei Angus in veränderter Form wieder auftauchen. Wobei es auffällig ist, dass auch Hockney ein eher harmonisches Bild vom Schwulsein zeichnete, noch viel dezenter und zurückgenommener als Patrick Angus. Beide Maler kannten sich und Hockney hat kurz vor Angus’ Tod noch sechs seiner Bilder gekauft. Auch diese Werke werden in unserer Ausstellung zu sehen sein.

    AV: An einem Bild kann man die Beziehung besonders gut nachvollziehen. Angus greift darin Hockneys berühmtes Swimmingpool-Motiv mit den sehr subtilen Anspielungen auf die homosexuelle Passion auf. Angus integriert eine solche Pool-Szene in die Darstellung eines Gay-Kinos. Darin sitzen die Besucher in den Stuhlreihen und starren gebannt auf die Leinwand, die die intime Begegnung zweier junger Männer an einem Schwimmbecken zeigt. Diese motivische Aneignung und Referenz ist klug, denn Angus kopiert Hockney nicht, sondern entwickelt sein eigenes Bildmotiv. Es ist eine Hommage an sein Vorbild.

Angus’ Werk ist über weite Strecken figürlich. Seine Landschaften sind meist menschenleer, wenn man einmal von den wenigen Park- oder Badeszenen absieht.

    UG: Die Idylle in den Landschaftsbildern ist in der Tat offensichtlich. Viele sind wohl Sehnsuchtsorte, vielleicht auch Erinnerungsorte, die die schwule Thematik begleiten.

    AV: Zugleich handelt es sich dabei um die Auseinandersetzung mit bekannten malerischen Genres. Angus hat die Kunstgeschichte für sich erforscht und sich auf traditionelle Landschaftsmalerei bezogen, etwa die „Seelenlandschaft“, die ja meist auf Figuren verzichtet.

In dem Bild mit dem Titel „Moma Angus Picasso“ von 1980 verarbeitet der Maler ganz offensichtlich Museumserlebnisse. Wie hat er sich mit der Kunstgeschichte auseinandergesetzt? Wer waren seine kunstgeschichtlichen Helden?

    AV: Wir wissen, dass Angus im MoMa gearbeitet und Zugang zu den Sammlungen gehabt hat. Neben Hockney war Pablo Picasso Vorbild und Inspirationsquelle. Der Besuch einer Picasso-Ausstellung war eine Art Augenöffner für Angus. Die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, das Erproben unterschiedlicher Stile und Herangehensweisen lassen sich besonders gut im zeichnerischen Werk beobachten. Neben studienartigen, akademischen Blättern, gibt es Zeichnungen in freier, expressiver Linienführung, daneben bis ins Detail ausgearbeitete Darstellungen. Man spürt förmlich, wie Angus Motiv und Stil durchdringt und sich deren Herausforderungen stellt.

Hat Patrick Angus jemals selbstkritisch zu seiner Arbeit Stellung bezogen? Oder zumindest zu seiner Situation, in der er sich als gegenständlicher Maler doch etwas isoliert vorkommen musste in den 1980er-Jahren, jedenfalls ziemlich weit weg von den Hypes der amerikanischen Szene?

    AV: Zumindest nicht soweit es uns bekannt ist. Es gibt keine überlieferten Äußerungen oder Schriften zu seinen eigenen Arbeiten.

Und wie ist er von seinen Kollegen wahrgenommen worden?

    UG: Auch dazu weiß man leider nicht viel. Die wenigen Texte über seine Arbeiten wurden in Gay Magazinen publiziert, durchaus große Berichte mit etlichen Abbildungen seiner Werke. Aber darüber hinaus gab es kaum publizistische oder kunstkritische Resonanz. Dass man von jemandem, der in einem großen New Yorker Museum gearbeitet hat und David Hockney kannte, so gar nichts weiß - ob es vielleicht doch eine Form von Austausch gegeben hat, eine Vernetzung oder Treffen mit den Künstlern seiner Generation -, das hat uns schon erstaunt.

Wir sehen unsere Ausstellung deshalb als Auftakt für hoffentlich viele weitere Projekte und Forschungsvorhaben zu Patrick Angus.

    AV: Wir würden zum Beispiel auch gerne wissen, ob es einen Tausch von Werken gegeben hat. Daraus könnte man rekonstruieren, mit wem er in Kontakt war. Aber auch dazu ist bisher nichts bekannt.

Das soll nun anders werden, und das Kunstmuseum Stuttgart veranstaltet die weltweit erste große Angus-Ausstellung. Noch einmal zusammengefasst, was ist es, was Sie an diesem Werk interessiert?

    UG: Nicht zuletzt das Thema Homosexualität, der Umgang mit Geschlechtsidentitäten, was ja bei allem gesellschaftlich kulturellen Fortschritt noch immer zu Kontroversen führt. Erinnert sei beispielhaft an die Proteste und Demonstrationen, die sich hier in Stuttgart und Umgebung gegen das Vorhaben richteten, in den Bildungsplan an baden-württembergischen Schulen auch die sexuelle Vielfalt aufzunehmen. Der Affekt ist eben noch immer stark, wie es auch die Diskussion um die Ehe für alle zeigt. Nach wie vor wird die Ehe zwischen Mann und Frau oftmals als einzige Form des Zusammenlebens angesehen. Grund genug, das Werk von Patrick Angus zu zeigen und mit ihm das Thema Homosexualität, um das es kreist. Auch die Krankheit Aids, an der Angus starb und die zwar ihre schlimmste Katastrophe in den 1970er- und 1980er-Jahren erlebte, ist bis heute nicht besiegt und damit von gesellschaftlicher Bedeutung. Wir sind deshalb aus vielerlei Gründen gespannt, wie die Ausstellung aufgenommen wird.

    AV: Hinzu kommt, dass die Sammlung des Kunstmuseum Stuttgart viele starke malerische Positionen, abstrakte wie figurative, umfasst. Angus knüpft daran an. Zudem finde ich toll, dass ein Museum die Möglichkeit bietet, sich in der ästhetischen Begegnung mit einem gesellschaftsrelevanten Thema auseinanderzusetzen, dem man nicht entgehen kann und darf.

Das Gespräch führte Hans-Joachim Müller.