„Möglichst lässig Kaugummi kauen, bis die Blase platzt“

Ein Gespräch mit dem Berliner Maler Moritz Schleime über schwarzen Humor, das Ende mit Schrecken – und was danach kommt

Moritz Schleime in seinem Atelier, Foto: Franzi Klotz
Moritz Schleime in seinem Atelier
Foto: Franzi Klotz


Herr Schleime, Sie malen figurativ, narrativ. Gibt es eine zugrundeliegende Erzählung, welche die Bilder Ihrer ersten Ausstellung „Dark Loveboat Stories“ in der Galerie Thomas Fuchs verbindet?


Moritz Schleime: Ja. Im Titel heißt es ja „Stories“, und so sind die Bilder als einzelne Geschichten zu verstehen. Sie sind von persönlichen Erfahrungen inspiriert, die ich gerade zu verarbeiten habe.

Sind es eher gute Erfahrungen oder schlechte Erfahrungen?

     MS: Alles zusammen und vereint gesehen, war es eine recht schlimme Zeit, die hinter mir liegt. Es hat mit dem tödlichen Verlust von geliebten Menschen zu tun, mit Krankheit, mit Trennung. Ich kannte Pechsträhnen, aber in letzter Zeit schien schon ein größerer unnachgiebiger Fluch über allem zu liegen.

Und dann kam auch noch die Pandemie dazu.

     MS: In meiner respektvollen Wahrnehmung der Dinge und Rücksichtnahme auf meine Umwelt würde ich sagen, Corona bekommt in dem ganzen Übel meiner schlechten Erfahrungen nur die Bronzemedaille.

Die Bilder sind ambivalent: In ihnen lauert das Grauen, Sie verleihen ihnen aber auch Witz.

     MS: Ich bin ja auch grundsätzlich ein positiver und humorvoller Mensch.

Warum lassen Sie Ihre Geschichten in einem maritimen Setting spielen?

     MS: Die alte Fernsehserie „Love Boat“ und die Meeresthematik gefielen mir gut, um darüber einzelne Episoden zu erzählen. Man könnte die Bilder auch „Seestücke“ nennen. Es sind Metaphern der Hoffnung, dass wir uns zwar alle zurzeit auf einer dunklen und schwierigen Reise von A nach B befinden, doch am Ende ein schöner Hafen auf uns wartet – und ein Happy End.

Bei „Love Boat“ denke ich an die amerikanische Serie und an ihr deutsches Remake. Ihr Traumschiffkapitän im Gemälde „Love Boat Captain“ hat allerdings nichts mit den väterlichen Filmfiguren zu tun, die an Bord der TV-Kreuzfahrtschiffe dienen. Es ist ein skelettierter grinsender Pirat. Wie kam es zu dieser Bildfindung?

     MS: Da ich viel Musik zum Malen höre, verwende ich häufig Song- und Albumtitel oder Liedzeilen als Titel für meine Bilder. „Love Boat Captain“ ist ein Song von Pearl Jam. Er wurde geschrieben, um das Unglück während eines Konzerts von Roskilde im Jahr 2000 zu verarbeiten.

Während des Auftritts der Band auf dem dänischen Open-Air-Festival kam es zu einem Gedränge, Besucher stürzten, wurden erdrückt und zu Tode getrampelt.

     MS: Neun Menschen starben vor den Augen der Musiker, als sie auf der Bühne standen.

Pearl Jam haben nach dem Unglück sechs Jahre gebraucht, um überhaupt wieder eine Festivalbühne zu betreten.

     MS: Bei all der Tragik des Lebens braucht es Hoffnung. Sie ist das Elixier, das wir alle benötigen, um solche schrecklichen Erlebnisse, aber auch persönliche wie kollektive Schicksalsschläge zu verarbeiten und zu überstehen. Eine Zeile im Pearl-Jam-Song „All You Need Is Love“ verweist auf einen gleichnamigen Song der Beatles. Und mein Bild ist wie ein Pendant dazu gedacht. Als eine Ermunterung, vor allem diese Hoffnung nicht zu verlieren. Der morbide „Love Boat Captain“ ist vielleicht eher ein Albtraumkapitän, der einen aber doch durch schwere Zeiten geleitet. Und so geht es mir mit der Band, die über ein sehr tragisches Ereignis ein Lied macht, und ihrem Publikum – und mir – durch ihre Musik wieder Kraft gibt. In allem Traurigen liegt immer etwas Schönes, und umgekehrt. Aber am Ende zählt, worauf wir uns fokussieren wollen und ob wir bereit sind, durch unsere Ängste zu gehen.

Moritz Schleime, Love Boat Captain, 2020, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm, Galerie Thomas Fuchs
Love Boat Captain, 2020
Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm


Auf Ihren Bildern sehen wir Skelette: Ein untoter Seemann spielt Akkordeon („Ein schöner Wind“), ein knöchernes Paar hat Sex auf einem Floß („Klappern“), der skelettierte Kapitän macht einen Kussmund. Ist das Todessehnsucht?


      MS: Nein. „Es war ein schöner Wind“ ist eine Liedzeile aus dem Song „0043“ von der österreichischen Band Wanda. In dem Text geht es um Nostalgie und die Sehnsucht nach der unwiederbringlichen Kindheit. Das ist ein Thema, welches auch mich immer wieder beschäftigt. Allein, dass ich die Zeit habe und ein solches Bild malen darf, bewahrt mir einen Teil meiner Kindheit. Und vielleicht kommt ja nach dem Tod schon wieder eine Geburt? Die Skelette auf meinen Bildern sind mehr als ein Memento mori gedacht, das daran erinnert, dass etwas im Leben zu Ende geht. In unseren Gedanken aber ist mit einem Tod nicht unbedingt auch ein Ende gefunden.

Was meinen Sie damit?

     MS: Ich versuche es einmal schwarzhumorig auszudrücken: Wenn wir uns in diesem Leben nicht mehr lieben können, lieben wir uns halt nach dem Leben. Und dann klappert es halt mehr.

Braucht man Galgenhumor, um Ihrer Kunst näherzukommen? Ihr Bildpersonal scheint den Katastrophen des Lebens ja guten Mutes entgegenzusegeln. Ist das nur die Ruhe vor dem Sturm?

     MS: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich immer im Sturm bin, aber nie meine Regensachen dabeihabe. Humor braucht man immer und auf alle Fälle, aber keinen Galgen!

Was hat Sie als Maler geprägt?

     MS: Auf die Frage kommen mir viele Namen in den Sinn, aber vor allem: „The Secret of Monkey Island“!

Ist das wieder der Titel eines Songs?

     MS: Nein, das ist ein Computerspiel-Klassiker der Neunzigerjahre aus dem Hause LucasArts. Darin begegnen Ihnen zum Beispiel sprechende Totenschädel auf skurrilste allegorische Art und Weise. Sie erklären Ihnen die Weisheiten des Lebens, wie in einem guten Buch. Wenn man dieses Spiel kennt, versteht man vielleicht einen Ansatz meiner Bildwelt. Aber im Grunde mag ich es, wenn ein Bild ein Geheimnis bleibt. Auch für mich selbst.

Wollen Sie trotzdem ein Geheimnis lüften? Was hat es mit „Behind Your Love“ auf sich? Da treiben zwei junge Frauen Rücken an Rücken im ruderlosen Ruderboot durch eine giftgrüne See.

     MS: Bei „Behind Your Love“ geht es um Trennung. Die Liebe ist das, was hinter uns liegt. Etwas, das hinter uns aber noch sitzt und uns berührt. Und so sitzen wir in demselben ruderlosen Boot. Aber es bleibt offen, wohin es uns treiben wird.

„Slow Explosion“ scheint das Auftaktbild zur Ausstellung zu sein. Wie ist es zu dieser Vision gekommen?

     MS: „Slow Explosion“ ist eher außerhalb des maritimen Ausstellungsthemas zu sehen, obwohl das Meer ja doch in der Ferne zu sehen ist. Das Bild ist vor dem Hintergrund dieses „herrlichen“ Sommers nach dem ersten Corona-Lockdown entstanden. Ich hatte in der Isolationsphase einige Drei-???-Kassetten angehört, war in meinen Gedanken in der amerikanischen Küstenstadt Rocky Beach …

… also der fiktiven Kleinstadt in Kalifornien, in der die drei Detektive unserer Kindheit lebten.

     MS: Die Assoziation versucht exemplarisch eine Grundstimmung dieser ersten Corona-Lebensphase einzufangen. Auf dem Bild sieht man den Cadillac mit platten Reifen, den aufgesprühten Schriftzug „Run“, das einsame Teenage-Riot-Girl. Doch jetzt sind wir wieder in dieser Phase, in der wir nicht wegrennen können, nicht wegfahren können, nirgendwo hinkönnen. Trotz all unser technischen Errungenschaften.

Moritz Schleime, Slow Explosion, 2020, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm, Galerie Thomas Fuchs
Slow Explosion, 2020
Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm


Eine grellbunte Dystopie?


      MS: Zuerst kommt immer die Verzweiflung, dann folgen Erschöpfung und Ernüchterung. Und wir können letztendlich nur versuchen, möglichst lässig Kaugummi zu kauen bis die Blase oder die „Bombe“ platzt. Im Moment sind wir nur Zuschauer.

Wenn wir nicht wüssten, dass Sie dem schwarzen Humor zugetan sind, klänge das ziemlich resigniert. Haben Sie noch Hoffnung?

      MS: Spirituell gesehen, gibt uns diese Krise auch eine Chance, diese Zeit für eine Selbstreflexion zu benutzen, die uns hoffentlich in eine bessere Welt führt. Wir haben nun Zeit uns zu fragen: Was brauche ich alles oder nicht? Was will ich wirklich? Habe ich auf mein Herz gehört? Vielleicht geht es jetzt darum, dass wir ganz zu uns finden. Jeder einzelne für sich. Und aufgeben ist natürlich nicht erlaubt!

Das Gespräch führte Marcus Woeller