Jeremy Jaspers. A Special Beauty

 

Über die Werke der Ausstellung hat Thomas Fuchs mit Jeremy Jaspers gesprochen:

 

TF: Lieber Jeremy, als wir Dich im Mai in Deinem Pariser Atelier besucht haben, sind uns insbesondere Deine Arbeiten ins Auge gefallen, die Du als "Portraits of a special beauty" beschreibst.

 

JJ: Genau das ist einer der Punkte, die mich bei diesem Thema faszinieren. Sie sind unausweichlich. Es ist uns nicht möglich, sie nicht anzuschauen. Und das macht natürlich etwas mit uns, aber vor allem mit dem Angeschauten.

 

TF: Wie bist Du zu diesem Thema gekommen?

 

JJ: In gewisser Weise ist das Thema zu mir gekommen. Während meiner Vorbereitungen auf meine Ausstellung in New York in 2022 habe ich mit einem Freund über meine Arbeiten gesprochen. Dieser Freund hat stark ausgeprägte Vitiligo, eine Pigmentstörung, die zu weißen Flecken auf der Haut führt. Bei einem unserer Treffen sagte er "Weißt Du, dass ich noch nie jemanden wie mich, jemanden mit meiner Haut auf einem Gemälde gesehen habe? Die Museen sind voll von Bildern aus allen Jahrhunderten, aber einen Menschen mit Vitiligo habe ich noch nirgends gesehen." Ich konnte ihm nur zustimmen, auch mir war kein Bild bekannt. Und als er mich fragte, ob ich Lust hätte, ein Portrait von ihm zu malen, sagte ich ja. Dass dies einen großen Stein ins Rollen bringen würde, habe ich damals nicht vermutet. Doch je mehr ich mich mit diesem Thema beschäftigte, desto aufregender wurde es und ist mittlerweile ein ganz essenzieller Teil meiner Arbeiten.

 

TF: Was hat Dich bei diesem Thema besonders interessiert?

 

JJ: Da gibt es viele Facetten, die sich mir nach und nach gezeigt haben. Anfänglich war es die Faszination für die sehr spezielle Ästhetik dieser Haut. Jedes Mal, wenn ich jemanden mit Vitiligo sah, war das so verwirrend, fremd und faszinierend zugleich und auch so wunderschön. Das ist natürlich für einen Maler ein großartiges Thema. Dann kam in mir die Frage auf, was es eigentlich für einen Menschen bedeutet, sich sicher sein zu können, permanent angestarrt zu werden.

 

TF: Das muss eine ziemliche Belastung sein.

 

JJ: Ja, es ist ein großer Punkt der Verletzlichkeit. Ein Thema, welches bei mir sehr hoch im Kurs steht. Ich versuche, die wunden Punkte aufzuspüren, da ich glaube, dass grade unsere "Schwächen" ein fundamentaler Bestandteil unseres Mensch-seins sind.

 

TF: Die Sensibilität und Fragilität insbesondere des Mannes begegnet uns in vielen Deiner Bilder.

 

JJ: Absolut! Ein Kernthema meiner Arbeit. Und so wollte ich auch in diesem Fall wissen, wie schaut jemand in die Welt, der permanent angeschaut wird. Versucht er, den Blicken auszuweichen, zieht er sich in sich zurück, wird er aggressiv oder entwickelt er ein besonders starkes Selbstbewusstsein? Während ich an verschiedenen Portraits arbeitete, erinnerte ich mich an Situationen, in welchen ich mich selbst beobachtet oder durchschaut gefühlt hatte. An Momente, wo ich z. B. einen Raum betrat und das Gefühl hatte, alle würden mich anstarren, alle würden wissen, was mit mir nicht in Ordnung ist. Als Junge, der schon früh wusste, dass er sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, war dieses Gefühl ein häufiger Begleiter. Mir kam es so vor, als wäre all das auf meiner Haut ablesbar und ganz deutlich für alle sichtbar. Diese Kindheitserinnerung brachte mich dem "Befleckt sein", der fleckigen Haut auf einer erlebten Ebene näher.

 

TF: An dieser Stelle hat dich dieses Thema auch autobiographisch abgeholt.

 

JJ: Klar war das ein starker Triggerpoint! Aber mir ist in der Arbeit auch klar geworden, dass es viel allgemeinere Grundfragen zu stellen gilt. Eine der ersten war die Frage "Was bedeutet eine Hautfarbe?". Für wen ist sie von Bedeutung? Dieses Thema ist ja in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus gerückt. Wäre es nicht eine wunderbare Lösung, wenn wir alle mehrfarbig wären? Diese Utopie gefiel mir immer besser, je mehr Arbeiten zu diesem Thema entstanden. Warum fällt es uns so schwer, das Andersartige zu akzeptieren? Welche Angst verbirgt sich dahinter? Und was entstammt einfach nur einer verquasten Ideologie? Warum ist ein weißer Farbiger trotzdem nicht weiß? Ganz klar ist, dass die Hautfarbe keine Wahlmöglichkeit ist. Ebenso wenig wie die sexuelle Orientierung. Man kann das alles wunderbar auf andere Bereiche übertragen: Wie der von mir sehr geschätzte Künstler Herbert Grönemeyer bereits in einem seiner Songs fragte "Wann ist Mann ein Mann?"

 

TF: "Wir werd ́n als Kind schon auf Mann geeicht!" Das ist ja genau eines Deiner Themen oder?!

 

JJ: Absolut! Wer eicht uns, wer sagt uns eigentlich, was schön ist und wie wir zu sein haben. Dass dieses Diktat sehr ungesund ist, merken wir spätestens in dem Moment, wo wir aus der "Norm" ausbrechen. Ich bin froh, dass sich mittlerweile einiges an dieser Front bewegt. Verkrustete Gendernormen werden aufgebrochen und die Groschen beginnen zu fallen.  Auch in Bezug auf "Color" sollte das unser Ziel sein! Was mich neulich sehr gefreut hat, war von einem Sammler zu hören, dass sich seine eigene Wahrnehmung durch die Bilder verändert hat. Er bemerkt nun, wie häufig ihm im Alltag Vitiligo begegnet und dass sich, je mehr er sich dieser Wahrnehmung öffnete, eine innere Selbstverständlichkeit einstellte. Die Personen, denen er anfänglich in eher verschämt- voyeuristischer Art begegnet war, wurden in etwas Vertrautes verwandelt, dem er heute mit Aufgeschlossenheit und mit Selbstverständlichkeit begegnet. Der Betrachter wurde also selbst in seinem Blick verändert. Genau aus diesem Grund ist es für mich auch so wichtig, diese Themen zu malen. Andersartigkeit nicht zu negieren, sondern als Schönheit zu zeigen. Vielfalt ist bereichernd.