Die Natur ist nicht zu verschönern
Auguste Rodin

Was in der modernen Kunst geschieht, ist die Proklamation ästhetischer Prinzipien … Wir sind uns erst in unserer heutigen Zeit der reinen ästhetischen Erwägungen bewusst geworden. Kunst kann niemals Imitation sein. 
Hans Hofmann

Seit dem Mittelalter (und der Wiederentdeckung von Aristoteles Elementenlehre) wurden Erde, Feuer, Luft und Wasser als die fundamentalen Bausteine der Natur angesehen. Betrachtet man die Bilder eines jungen abstrakten Künstlers des 21. Jahrhunderts, mag es zunächst seltsam erscheinen, diese Elemente als Ausgangspunkt zu nehmen. Je tiefer wir uns aber auf die Arbeit des deutschen Künstlers Sebastian Gumpinger einlassen, desto deutlicher bewusst werden uns der zeitlose Charakter des von ihm gewählten Mediums und die alchemistischen Transformationen, die er in seinen Gemälden vollbringt, wenn er die Elemente in einem fortlaufenden künstlerischen Experiment gegeneinander antreten lässt.

Paracelsus (1493–1541), der Arzt, Chemiker und Alchemist der Renaissance, war Anhänger von Aristoteles Lehre der vier Elemente, doch brachte er auch die Vorstellung auf, dass der Kosmos aus drei spirituellen Substanzen geschaffen sei: der Tria Prima aus Quecksilber, Schwefel und Salz. Er glaubte, dass diese Elemente jedem Gegenstand sein inneres Wesen und seine äußere Form verleihen. Quecksilber repräsentierte die transformative Kraft (d.h. Schmelzbarkeit und Verdampfbarkeit), Schwefel war das notwendige Bindemittel zwischen Substanz und Transformation und Salz stellte die festigende Kraft der Beständigkeit dar.

Paracelsus zufolge legte die Tria Prima auch die menschliche Identität fest. Schwefel repräsentierte für ihn die Seele, Salz den Körper und Quecksilber den Geist. Die Vorstellung von Geist, Körper und Seele besteht in unserem heutigen Bewusstsein fort und die Beziehungen zwischen diesen drei Seiten der menschlichen Existenz sind für Künstler besonders anregend – besonders für solche, die im Bereich der Abstraktion arbeiten. Die Frage, wie man ein Gemälde hervorbringt, das der Tria Prima genügt, beschäftigt Künstler – auch auf einer unbewussten Ebene – immer wieder. Das betrifft den Einsatz des Geistes, den physischen Einsatz des Körpers und die Verwendung des Materials. In Gumpingers Arbeiten ist aber auch ein weiterer Prozess in Gang: die De- und Re-Materialisierung des Kunstobjektes.

Mitunter beschreiben Künstler die Geistesverfassung, in der sie sich befinden müssen, um frei malen zu können, als „schamanisch“. Sie sprechen davon, dass sie sich manchmal so fühlen, als würde ihre Hand gelenkt, von einer größeren Macht geführt werden. Wir könnten das als ein spirituelles Eingreifen verstehen oder die weltliche Sichtweise vertreten, dass hier das Unbewusste am Werk ist, das das Bewusstsein ablöst, um dem Künstler größere Freiheit im Ausdruck vom Einfluss der Welt um ihn herum zu ermöglichen.

Der Künstler spricht davon, dass er mit dem Entschluss beginnt, herauszufinden, „wie die Dinge zueinander in Beziehung stehen, wie das Material zu bearbeiten ist und wie er damit spielen kann.“ Er hat Freude daran, mit Techniken zu improvisieren und den Elementen dabei zuzusehen, wie sie gegen- oder miteinander spielen. Obwohl er weiß, dass dies eine endlose Reise ist, ist es doch eine, von der er sagt, er wäre mehr als glücklich, den Rest seines Lebens mit diesen Versuchen zu verbringen.

Gumpinger hatte nicht beabsichtigt, ein abstrakter Künstler zu werden. Er begann seine Karriere als  figurativer Maler im traditionellen Medium Öl. Aus dieser frühen Periode ist kaum etwas erhalten, da der Künstler diese Werke fast alle zerstört hat. Tatsächlich war der Prozess der Zerstörung für Gumpinger wichtig, da er durch ihn erkannt hat, dass nicht unbedingt der Akt des Malens oder der Inhalt zählt, sondern die Beziehung zum Material selbst, dessen Materialisierung und Entmaterialisierung. Gumpinger beschreibt, wie er einmal verschiedenfarbige Farbflecken auf einem Stück Papier sah, das er auf seinem Ateliertisch liegengelassen hatte. Doch statt seine Aufmerksamkeit auf die Frage zu lenken, was er mit diesen Farben in einem traditionellen, transformativen Sinne tun könne, begann er, die Farbflecken als Werk an sich anzusehen. Die Form und die Komposition der Farben erschienen ihm bereits absolut perfekt. Fasziniert begann er, den Boden seines Arbeitsraumes abzusuchen und entdeckte dabei, dass sich die zufälligen Flecken, Farbkombinationen und Kompositionen, die sich als Nebenprodukt seines Malprozesses gebildet hatten, als interessanter und spannender für ihn erwiesen, als seine eigenen Experimente auf der Leinwand.

Mit geöffneten Augen für neue Möglichkeiten begann Gumpinger nun, die Welt um ihn herum anders wahrzunehmen. Die Erfahrung, die Schönheit im Variablen oder Zufälligen zu sehen, öffnete seinen Geist für die prägenden Erfahrungen seiner Jugend, wodurch etwas freigesetzt wurde, das tief in seinem Unbewussten verborgen gewesen war. Gumpinger hatte seine ersten Lebensjahre in Marokko verbracht. Obwohl er das Land im zarten Alter von fünf Jahren verließ, kann er seine Erfahrungen dort leicht abrufen. Er beschreibt seine Erinnerungen so: „dieses unglaubliche Licht, der Ozean, mein Kindermädchen Minna und unser riesiges Aquarium.“ Gumpinger wuchs im historischen Zentrum von Agadir auf und er kann noch immer den intensiven Duft des Gewürzmarktes heraufbeschwören, der sich ganz in der Nähe befand. Gumpinger, der in den späten 1970er-Jahren geboren wurde, bewegte sich in Agadir, bevor die Stadt für den Tourismus entdeckt wurde und der kleine blonde Junge wurde oft von Damen verfolgt, die immer wieder seine goldenen Haare berühren wollten.

Die Zeit in Marokko hinterließ bei Gumpinger einen nachhaltigen Einfluss und formte ein Bewusstsein für die Natur und seine Einstellung zu ihr, die auch in seinem Erwachsenenleben fortbesteht und seine künstlerische Arbeitsweise bis heute beeinflusst. Es reizt ihn, die Natur nicht in Form einer Reproduktion einzufangen, sondern sich real mit ihr zu befassen. Er erklärt: „Es funktioniert etwa so. Als ich als Erwachsener auf Ischia und auf einigen spanischen Inseln war, dachte ich nicht über die Natur nach. Sie war einfach da. Und meine Haltung zur Malerei ist etwa genauso von der Wesentlichkeit ihrer Natur definiert. Ich denke nicht darüber nach, was Farbe darstellen kann, sondern darüber, was Farbe bereits ist. Oft lande ich schließlich bei natürlichen Formen, weil die flüssige Farbe ihren eigenen Weg auf der Leinwand findet, doch was mich wirklich interessiert, ist die Wesentlichkeit der Farbe selbst. Ich zwinge sie nicht in diese oder jene Richtung, sondern wähle Techniken, um eine bestimmte Entwicklung zu beeinflussen und versuche, immer in Übereinstimmung mit der Ordnung der Elemente zu sein.“

Gumpinger beginnt oft mit einem einzelnen Farbfleck. Er fügt Hitze hinzu, indem er versucht, die Ränder mit einem Fön zu trocknen und er wäscht das, was er den „inneren Körper“ der Farbe nennt, mit Wasser aus. Weitere Experimente folgen: er injiziert Spiritus, um eine chemische Reaktion in Gang zu setzen und die Farbe auf der Leinwand zu fixieren. Manchmal bringt er flüssiges Latex auf, um Bildteile mit einer Schicht zu überziehen. Nach dem Abziehen des Latex bleiben Negativformen übrig. Er führt das Werk fort, indem er mehrere verschiedene Drucktechniken einbezieht, bei denen er Papier und Plexiglas zum Drucken verwendet, was in erhöhten Farbinseln sichtbar wird, die sich über die Leinwand verteilen wie ein Flachrelief. Gumpinger verwendet mehr als zwanzig dieser verschiedenartigen Techniken und er ist der Auffassung, dass alles, was ihm in den Sinn kommt, ein ganz eigenes Verfahren erfordert. Sein einziger Grundsatz ist der, niemals den Pinsel auf die Leinwand zu bringen. Wann immer er einen bestimmten Effekt erreichen möchte, erforscht er das Verhalten der Materialien.

Es überrascht nicht, dass Gumpingers herausfordernde, findige Arbeitsweise von Neugierde angetrieben wird. Er sagt dazu: „Ich möchte herausfinden, was passiert, wenn ich dies oder das versuche.“ Auch wenn Gedanken nicht greifbar sind, gibt der Schöpfungsprozess seinem inneren Programm eine Form, eine Gestalt, ein Erscheinungsbild, das er ansehen und anfassen kann; es ist da. Im Allgemeinen hat er keinen festen Plan, entscheidend ist vielmehr, dass er einen Weg findet, seinen Kopf frei zu bekommen, da seine Arbeit vor allem ein Denkprozess ist. Um zu beginnen, schließt er oft erst solche Aufgaben ab, die weltlich und alltäglich erscheinen mögen, wie das Bauen von Leinwänden oder das Aufräumen seines Arbeitsraumes. Manchmal versucht er, die verschiedenen Farbschichten erst gedanklich aufzubauen, bevor er die Arbeit mit der Farbe beginnt. Dies ist für ihn die Seite an seiner Arbeit, die ihn am stärksten herausfordert, da sie große Konzentration und Disziplin, aber gleichzeitig auch Offenheit verlangt. Die praktische Arbeit selbst ist der einfachste und angenehmste Teil und da der Denkprozess abgeschlossen ist, bevor er mit dem Malen beginnt, denkt er während der Arbeit nicht, wie er sagt, sondern vertieft sich lieber in ein Meer von verschiedenen Materialien. 

Was den Kontext von Gumpingers Arbeit angeht, gehört er zu einer Gruppe von jungen und schon etablierteren deutschen Künstlern wie Volker Hueller, Gregor Hildebrandt und Hansjörg Dobliar (und zu einer größer werdenden Welle in ganz Europa und den Vereinigten Staaten), die, statt sich weiterhin hauptsächlich mit Figurationen zu beschäftigen (wie beispielsweise die Leipziger Schule), lieber in der Abstraktion nach Inspiration sucht, mit einem besonderen Interesse an der Neuerkundung der Moderne. Die Techniken, die Gumpinger in seinem intensiven und komplizierten Prozess entwickelt hat, heben ihn jedoch heraus. Sein Arbeitsraum ist halb Atelier, halb Labor. Er verwendet Acrylfarben, flüssigen Latex, Spiritus und Acrylspray, die er mittels Heißlüfter und Fön trocknet. Die Farben sind stark verdünnt, so dass sie sich über die Oberfläche seiner Leinwände ausbreiten können. Die Arbeit ist fertig, wenn sich das Gefühl einstellt, dass alles, was dort sein sollte, auf der Leinwand ist und dass das Hinzufügen weiterer Substanzen nichts mehr verbessern würde. Manchmal fühlt sich das für Gumpinger wie eine stetig voranschreitende Arbeit an, aber oft kann es ihn auch überraschen, wenn er sich – viel früher als erwartet – einer fertigen Arbeit gegenübersieht. Wie wir es von einem Künstler, der sich Natur und Umwelt so verbunden fühlt, erwarten dürfen, ist es für Gumpinger wichtig, sich den Raum, in dem er arbeitet, anzueignen. Darüber hinaus ist es wichtig für ihn, regelmäßig in physischen Kontakt mit der Natur zu kommen (besonders mit dem Ozean, wo er gerne surft), um ruhig zu werden und seinen Geist neu zu beleben. 

Dies ist kein modernes Phänomen. Vielmehr gibt es eine etablierte Erkenntnistradition unter Denkern und Künstlern für die Notwendigkeit, sich mit der Natur zu verbinden, um den Geist für die Gedanken freizumachen. Selbst wenn wir nur bis ins 20. Jahrhundert zurückgehen, finden wir Wittgenstein, der zeitweilig als Gärtner arbeitete, was sich für ihn als Therapie erwies, und Sigmar Polke – einer der Künstler, die Gumpinger beeinflussten –, der verkündete, dass er „die Kraft der Natur als religiös akzeptiert“.

Während Gumpinger Polke für seinen Erfindergeist bewundert, führt er auch andere Meister als Einflüsse an. Die späten Werke von Monet, die sich auf natürliche Formen beziehen, sind eine besondere Quelle der Inspiration, ebenso wie die Scherenschnitte von Matisse und die Einfachheit und Energie von Paul Klees Gemälden. Gumpinger schätzt Richter für seine Hingabe und seinen Perfektionismus beim Ausarbeiten von Techniken und Pollock „dafür, wie er sich gefühlt haben muss, als er seinen ersten Fleck auf der Leinwand sah, der ihm so viel erzählt hat …“. Die Gemälde und Lithografien von Günther Förg haben ebenfalls eine tiefe Wirkung auf Gumpinger gehabt, aber vielleicht hat sich Förgs Glaube daran, „weniger zu tun und das Material sprechen zu lassen“, für den Künstler als wichtiger erwiesen, da es sich hier um eine Philosophie handelt, die er sich für seine eigene Arbeit zu Herzen genommen hat.

Während es möglich ist, die Spuren all der Genannten in Gumpingers Arbeiten zu finden (wenn nicht direkt, dann als Vorbilder durch ihre Einstellungen und Herangehensweisen), gibt es doch eine Quelle der Inspiration, die all die anderen überragt und zu der Gumpinger immer wieder zurückkehrt: die Natur. Während seiner ersten Zeit an der Akademie las Gumpinger ein Buch mit dem Titel „Rodin – Die Kunst“. Das Buch, das aus einer Reihe von gesammelten Interviews mit Auguste Rodin besteht, beginnt mit einem Vermächtnis, das Rodin der nächsten Künstlergeneration mitgibt: „Die Natur sei eure einzige Göttin. Glaubt an sie, ohne zu zweifeln. Seid versichert, dass sie nie häßlich ist, und beschränkt euren Ehrgeiz darauf, ihr treu zu sein. Für den Künstler ist alles schön, denn sein durchdringender Blick entdeckt in jedem Wesen und in jedem Ding den Charakter, das heißt die innere Wahrheit, die durch die äußere Form hindurchschimmert. Und diese Wahrheit ist die Schönheit selbst. Erforscht sie gewissenhaft: ihr könnt nicht verfehlen, die Schönheit zu finden, weil ihr der Wahrheit begegnen werdet.“

Als sich Gumpinger mit Künstlerbiografien beschäftigte, stellte er mit der Zeit fest, dass viele von ihnen in ihren Spätwerken zu natürlichen Gestalten und Formen zurückfanden. Er beschloss, sich nicht allzu weit von der Natur, seiner gewählten Muse, zu entfernen und stattdessen zu versuchen, nach dem Wesen eines Stoffes zu suchen, indem er seinen Charakter und sein natürliches Verhalten verfolgte. Das wurde für ihn die Essenz des Malens, nicht der „falsche“ Prozess, der die Dinge in eigens konstruierte Formen zwingt. Folglich erschien Gumpinger eine natürliche Form, die sich mehr oder weniger von selbst entwickelte, stets schöner und interessanter, als eine vom Menschen gemachte, konstruierte Form. Für den Künstler ist es das Material selbst, das ihm den Weg zeigt und ihm ermöglicht, zu reagieren und zu experimentieren.

Es gibt darüber hinaus eine gewisse kindliche Freude und Verspieltheit, die sich durch Gumpingers Arbeiten zieht. Wie ein Kind, das seine Umgebung erkundet, indem es die Gegenstände um sich herum berührt, spielt Gumpinger mit den Materialien, um ihre Eigenschaften zu untersuchen. Damit setzt er eine Gleichung in Gang, die wie folgt lautet: das Material zu untersuchen bedeutet, die Wirklichkeit zu untersuchen und diese untersuchte Wirklichkeit ist das Gemälde selbst, nicht das, was es zeigt oder was der Maler vielleicht mitteilen möchte. Durch diese Arbeitsmethode, die sich stark einer sehr stofflichen Möglichkeit der Abstraktion zuwendet, gelingt es Gumpinger, eine Sensibilität fürs Haptische zu schaffen. Wir staunen über die vielschichtige Oberfläche seiner Werke, über seine komplizierten wissenschaftlichen Verfahren und die pure dynamische, körperliche Arbeit, die die Schöpfung eines jeden Bildes erfordert. Gumpingers Arbeit drängt uns allerdings auch dazu, weiterzugehen und uns vorzustellen, was unter der Oberfläche liegt und was wir auf der Oberfläche seiner vielschichtigen Gemälde schimmern sehen können. Der Subtext seiner Arbeitsmethode spielt mit der Unsichtbarkeit, die die Farbe nutzt, um einen emotionalen und einen physischen Kontext zu schaffen. Die Folge ist, dass wir darüber sinnieren, was unsichtbar oder teilweise abgedeckt ist und was die Schichten bergen oder verbergen mögen. Es wird eine Spannung zwischen dem Sichtbaren an der Oberfläche und dem, was vielleicht darunter existiert, erzeugt; so wie wir uns vorstellen könnten, was unter dem Gras eines Feldes oder der Wasseroberfläche eines Ozeans liegt.

Obwohl seine Arbeitsweise spielerisch und experimentell ist, hat Gumpinger diesen Punkt nicht allein durch glückliche Zufälle erreicht. Das Gitter und das Verständnis seiner Funktion waren außerordentlich wichtig für seine künstlerische Entwicklung. Es diente ihm als „Matrix“ oder „Rahmen“, innerhalb dessen er arbeiten und sich ausprobieren konnte und worauf er bauen konnte. Fast drei Jahre widmete sich Gumpinger der formalen Untersuchung des Gitters, von dem er heute glaubt, dass es ihm ermöglicht hat, jegliche Struktur zu verstehen.

Als das Gitter erst einmal in seinem Geist verankert war, war Gumpinger für seine alchemistischen Experimente mit den Elementen frei. Schaut man seine Arbeiten an, ist es manchmal für das Auge schwierig, einen Platz zu finden, an dem es Halt finden kann. Es ist, als würde man durch Nebel schauen, wenn das Licht zurückgeworfen wird und es fast unmöglich ist, Entfernung und Tiefe zu ermessen. Immer wieder kreist der Blick, wird auf die Oberfläche gelenkt, dann darunter und wieder zurück nach oben. Die Versuchung besteht, einen direkten Vergleich zu Wasser zu ziehen, aber die Stofflichkeit von Gumpingers  Methoden regt uns auch dazu an, die leibliche Natur seiner Arbeit zu erfassen, die uns wiederum zum Nachdenken über unsere eigenen Körper und die oft bemühte Beziehung zwischen dem Äußeren und Inneren zurückführt. Neben der diffizilen und doch verborgenen physischen Arbeit des Körpers, gibt es die Beziehung zwischen Geist und Körper und die Wirkung, die unsere Gedanken und Gefühle auf unseren körperlichen Zustand entfalten können, wenn sie sich in körperliche Handlungen oder Erscheinungen umwandeln. Unsere Haut, der erste organische Schutz gegen Angriffe, kann uns nicht vor psychischen Attacken schützen und tatsächlich kann innerer Stress das Äußere des Körpers erfassen, ihn beeinflussen und zeichnen.

Hier werden wir an die Vorstellung der Tia Prima erinnert, die für Paracelsus die menschliche Identität bestimmt und von der er glaubte, dass sie jedem Gegenstand sein inneres Wesen und seine äußere Form verleiht: das Trio von Geist, Körper und Seele. Die Körperlichkeit von Gumpingers Arbeit veranlasst uns, immer weiter um den Zusammenhang dieser drei essentiellen Grundsätze zu kreisen. Was immer wir sehen, schreibt sich in unseren Geist und unsere Imagination ein, doch wenn wir etwas ansehen, erleben wir auch seine körperliche Wirkung. Es ist nicht genug, ein Bild zu betrachten und uns lediglich intellektuell darauf einzulassen. Damit es der Malerei gelingen kann, die Motive des Künstlers zu kommunizieren (in diesem Fall die Erforschung der Wirklichkeit durch die Erforschung der Stofflichkeit), sollte sie eine emotionale Reaktion im Betrachter erzeugen.

Gumpingers Arbeiten öffnen sich dem Betrachter, indem sie unsere Sinne beschäftigen. Seine Arbeit spricht das Auge an, aber sie verlockt auch zum Anfassen und durch die Handhabung und das gezielte Einsetzen der zahlreichen Materialien und Techniken, die er verwendet, zieht er uns in einen Raum zwischen Wirklichkeit und Imagination. Dieser Ort, dieses „Dazwischen“, könnte Luft oder Wasser sein, aber auch ein Klang, Dunkelheit oder ein grenzenloser Himmel. Dann stellen wir uns nicht nur vor, wie die ganze Arbeit aussehen würde – wenn wir einen Querschnitt durch alle Schichten nehmen könnten –, sondern auch, wie sie sich anfühlen oder sogar klingen würde. Gumpinger hat uns eine Tür zur Schönheit der Natur geöffnet, aber nicht, wie wir sie kennen oder auf einer oberflächlichen Ebene erleben. Er veranlasst uns, tiefer zu gehen, über das Wesen all dessen nachzudenken, was uns umgibt und das unserem Leben, unserem Geist und unserem Körper ein Fundament gibt. Dieses Gitter ist selbst in der Natur begründet und obwohl, wie Rodin sagte, die Natur nicht zu verschönern ist, ist es doch möglich, sie zu betrachten, zu untersuchen und mit ihr zu experimentieren. Sie kann zurückgeführt werden auf ihre Grundlagen, auf die Basis des Daseins und dann neu zusammengesetzt, erweitert und in einen neuen Daseinszustand versetzt werden, nicht verbessert, sondern transponiert, anders und ebenso herrlich und inspirierend anzusehen; die einzige Göttin des Künstlers, neu geformt und wiedergeboren.

(Text: Jane Neal)
(Übersetzung Text: Barbara Handke)